Gottgift
Autor: Gerd Raudenbusch
Stand: 22.11.2025
Vom Saulus zum Paulus
Die Bekehrung des Saulus ist theologisch als ein radikaler Erkenntniswandel zu deuten, der Saulus in eine neue Beziehung zu Gott stellt. Er erfährt ein „Damaskuserlebnis“, das ihn nicht körperlich vergiftet, sondern geistig und existenziell transformiert: Aus dem Christenverfolger wird ein glühender Vertreter für den Glauben an Christus. Theologisch gesehen ist dies ein neues Selbstverständnis und eine neue Gerechtigkeit „im Licht Jesu Christi“. Es ist ein radikaler Perspektivwechsel, der das Leben von Grund auf prägt. Die Literatur spricht dabei von einer „Erkenntnis“ oder einem „neuen Denken“.
Pfingsten
Dies ist ein (modifiziertes) Bild von Herrad über Pfingsten, welches folgendes darstellt:
"Als der Tag des Pfingstfestes gekommen war, waren alle zusammen am selben Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab."
Am Anfang stehen nach Alfons Weiser besondere Zungenrede-Erfahrungen, (Glossolalie): "Angehörige zahlreicher nichtjüdischer Völker („Parther, Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadokien, von Pontus und der Provinz Asien, von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem Gebiet Libyens nach Kyrene hin, auch die Römer, […] Kreter und Araber“) wundern sich, dass jeder von ihnen die Jünger in seiner Muttersprache reden hören und verstehen kann, obwohl die Jünger doch Galiläer sind".
Gotthard Günther, der sich in seiner Philosophie mit den logischen Beziehungen zwischen "Ich" und "Du" befasst hat, beschreibt in Identität, Gegenidentität und Negativsprache auf S. 37 diese zwei Möglichkeiten genauer:
Inter-Subjektive Verstärkung der Erweiterung der Kommunikationsfähigkeit: „Wenn von der Seele, generell von der Divinität die Rede ist, verstummt die Sprache schnell. Die zungenredenden Apostel geraten bei einem Teil ihrer Hörerschaft in den Verdacht des Berauschtseins (Vers 13), ein Zustand, in dem nichts Mitteilungswertes mehr aus ihrem Munde hervorgeht.“
Inter-Objektive Verstärkung der Allgemeinheit des Themas des Mitzuteilenden : Hier „ist eine Spracherweiterung in die negative Dimension des Logos gewährleistet, weil es sich um die Liquidierung einer historischen Situation der Weltgeschichte handelt. Die Apostelgeschichte berichtet nämlich auch, dass ein anderer Teil der polyglotten Zuhörerschaft beim Zungenreden vor dem unbegreiflichen Faktum stand, dass die Sprache des göttlichen Logos in jeder menschlichen Sprache simultan und unmittelbar verstanden wurde.“
In der Schrift Vom Schauen Gottes: Zu Blick und Sehen bei Cusanus, Certeau und Lacan beschreibt Julius Günther, wie der um 1400 n. Chr. lebende Nikolaus von Kues sich mit seinen Glaubensbrüdern verschränkte: Dabei positionierten sie sich im Halbkreis rund um ein Bild. Beim Blick auf das Bild konzentrierten sie sich jedoch nicht auf den Inhalt des Bildes, sondern auf ihr Blicken darauf und reflektierten über ihre Beobachtungen.
Wie bei den Aposteln wurde dieser Zustand herbeigeführt, indem ein gemeinsamer geistiger Anteil mit Hilfe religiöser Vorstellungen verschmolzen wurde.
Kurt Bräuer schreibt dazu in Die Ganzheit der Physik: "Der Begründer der Tiefenpsychologie, C.G. Jung führt unser bewusstes Welterleben ganz grundsätzlich auf Wirkungen von Ordnungsstrukturen (Archetypen) in unserem kollektiven Unterbewusstsein zurück. Die Grundlage ist 'Die eine Welt (Unus mundus)', die wir nicht bewusst erleben können. Die Trennung in eine eher subjektive Innenwelt und eine materielle Außenwelt durch den so genannten Kartesischen Schnitt wurde in unserem Bewusstsein erst im Mittelalter endgültig vollzogen."
In seinem Buch "Der Ursprung des Bewusstseins durch den Zusammenbruch der Bikameralen Psyche" über die bikamerale Psyche hat Julian Jaynes umfassend untersucht, warum sich die Psyche so "telepatisch" verhalten könnte. Er sieht in einer solchen bewusst wahrgenommenen Verbindung keine tiefere Wahrheit mehr, als das heute "Schizophrenie" genannte, pathologische Degenerieren eines gemeinsamen, längst bewältigten identitätsbildenden Prozesses, der 2000 Jahre gedauert und das exekutive, selbstbestimmte und handlungsfähige Bewusstsein hervorgebracht hat, von dem wir heute selbstverständlich sprechen können.
Das mehrmalige Zitat von Jesus („Wenn jemand mir nachfolgen will, verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Matthäus 16,24, Markus 8,34 und Lukas 9,23*) macht keinen Hehl daraus, dass dieser geistige Amputations-Vorgang von Beginn an eine Selbstverleugnung ist.
So brächte ein heute herbeigeführtes Pfingstereignis sicher keine Einung, sondern allenfalls eine Vereinigung hervor, weil die dafür zugrundeliegenden Religionen einfach stehengeblieben sind und der Zustand sich zu viel vom heutigen Menschen nimmt, bzw. zu viel vom "ich" durch Projektion in ein Phantasma amputiert, welches uns eigentlich bereits längst bewusst geworden ist. Eine solche Verschränkung würde sich daher furchtbar grausam manifestieren, weil sie alle Beteiligten miteinander verhaftet, wie Gefangene an einer gemeinsamen Kette, die nur so stark ist, wie ihr schwächstes Glied.
Je mehr sich also jemand auf Gott beruft, desto mehr entfernt er sich von ihm.
Karl Jaspers schreibt dazu in "Chiffren der Transzendenz" auf S. 57-58:
»Wir können auch so sagen: das Eine ist es, an dem hängt, daß wir unsere Existenz gewinnen. An dem Einen hängt sozusagen das Errettende aus dem Sumpf bloßen Daseins, in dem jeder von uns steckt. Es ist das Heilvolle auf dem Wege, auf dem jeder von uns sich befindet und ihn nie vollendet hat. Und es wird sofort zum Verderben, wenn dieses Eine in irgendeiner bestimmten Gestalt vorweggenommen und als solche behauptet wird als der eine Gott hier in dieser Welt. Was ist dann die Folge? Es ist die Absolutheit des Einen in einer bestimmten, besonderen Gestalt in der Welt, deren Vertreter auftreten mit dem Anspruch, im Besitze der Wahrheit zu sein, sich gegenseitig bekämpfen und meinen, sie kämpfen für Gott, für den wahren und einen Gott gegen die andern, die den einen und wahren Gott nicht sehen, und völlig vergessen, daß die andern durch das Eine der Transzendenz so gut da sind wie sie selber. Es ist sozusagen die Teufelei in der biblischen Religion durch alle Zeiten, daß diese Religion, auf die sich alle unsere wahren Begriffe gründen und unsere existentiellen Möglichkeiten, verknüpft ist mit dem Gedanken der Ausschließlichkeit: nur dies eine und die andern nicht. Die Folge davon ist, durch dies Vorwegnehmen und In-Besitznehmen des Einen für sich selbst, daß die Menschen zerrissen werden in Gruppen, die nun gegeneinander kämpfen unter der Fahne des Einen, jeder im Besitze der Gottheit. Das hat man gesehen im Laufe der Geschichte. Im Neuen Testament können wir schon beginnen zu beobachten die Feindseligkeiten, selbst unter den Aposteln. Wir sehen später die Kriege, wir sehen die Kreuzzüge, wir sehen den fürchterlichen Kampf, den gewaltsamen Kampf der Kirche gegen das, was sie für ketzerisch hält. Wir sehen den Kampf - wie zur Buße - der christlichen Religionen und Konfessionen in den Religionskriegen bis zum Verderben, mit deren Abschluß dann die Gewalt der biblischen Religion merkwürdig schnell und bis heute mehr und mehr nachgelassen hat. Da ist irgend etwas, Was man sich klarmachen kann, was ich eine Teufelei nannte, nämlich das, daß man den einen Gott, der wirklich der Eine ist, zum eigenen Besitz macht, und meint, für ihn gegen andere zu kämpfen, für ihn andere erschlagen zu müssen und so fort. Das ist die Folge der Verkehrung in das numerisch Eine aus dem qualitativ Einen. Das qualitativ Eine hält in der Schwebe und führt auf dem Wege, das numerisch Eine fixiert und vergewaltigt und unterbricht den Weg. Es führt zu dem, was wir nicht anders können als vom Einen her als sinnlos und als gottwidrig zu betrachten, um so mehr als es sich auf Gott beruft.
Das Eine wird also im Augenblick, wo es zum numerisch Einen wird und sich die besondere Gestalt in der Welt gibt, zum Fanatismus. Dieser Fanatismus verführt immer noch, weil noch hinter dieser Verkehrung der erhabene Grundgedanke des einen Gottes steht, der einen Transzendenz, der Gedanke, der nur verkehrt worden ist und der im Ursprung das Wahre ist. Wenn das Christentum, wenn die biblischen Religionen verschwinden, geht es mit dem Einen genau so weiter. Wo das Eine rational als das Bezwingende gedacht wird, und das Folgen dem Einen als das, wodurch wir überhaupt Wert haben, was ja im Ursprung wahr ist, so geht es in den Despotismus des Einen, den wir ja grauenhaft erlebt haben und der uns noch in den Ohren klingt: »Ein Volk, ein Führer, ein Reich«. Was für eine ungeheure Verkehrung: Verkehrung nämlich des Gedankens des Einen, auf den doch alles ankommt, in etwas, was ruinös zerstört, und was wir in die Formel kleiden, so simpel sie auch klingt: die Verkehrung aus dem qualitativ Einen in das numerisch Eine.«
Prometheus
Johann Wolfgang von Goethe verfasste zum Mythos von Prometheus das folgende Gedicht:
Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst!
Und übe, dem Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöhn!
Mußt mir meine Erde
Doch lassen stehn,
Und meine Hütte, die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.Ich kenne nichts Ärmeres
Unter der Sonn als euch, Götter!
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Toren.Da ich ein Kind war,
Nicht wußte, wo aus, wo ein,
Kehrt’ ich mein verirrtes Auge
Zur Sonne, als wenn drüber wär
Ein Ohr, zu hören meine Klage,
Ein Herz wie meins,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.Wer half mir
Wider der Titanen Übermut?
Wer rettete vom Tode mich,
Von Sklaverei?
Hast du nicht alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz?
Und glühtest, jung und gut,
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden da droben?Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Tränen gestillet
Je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herrn und deine?Wähntest du etwa,
Ich sollte das Leben hassen, In Wüsten fliehn,
Weil nicht alle Knabenmorgen
Blütenträume reiften?Hier sitz’ ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, zu weinen,
Zu genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich!
Die Geschichte von Prometheus ist eine bedeutende Figur der griechischen Mythologie und stammt aus dem Geschlecht der Titanen. Er wird besonders als Freund und Förderer der Menschen dargestellt.
Prometheus half Zeus, die alten Titanen (inklusive Kronos) zu stürzen und verschaffte ihm so die Herrschaft über die Welt. Nach dem Sieg verhielt sich Zeus den Menschen gegenüber sehr streng; er erwog sogar, sie auszulöschen.
Aus Mitgefühl für die Menschen widersetzte sich Prometheus Zeus und schützte die Menschheit, indem er ihnen Hoffnung und vor allem das Feuer brachte – das wichtigste Werkzeug, um Technik und Kultur zu entwickeln. Dazu stahl er das Feuer von den Göttern und brachte es den Menschen heimlich.
Zeus war darüber erbost, da Prometheus sich seinem Willen widersetzt und den Menschen ein göttliches Privileg verschafft hatte. Als Strafe ließ Zeus Prometheus von Hephaistos (und dessen Gehilfen Kratos und Bia) an einen Felsen im Kaukasus schmieden. Dort musste er als Gefangener leiden. Jeden Tag kam ein Adler und fraß von seiner Leber, die jedoch jede Nacht wieder nachwuchs. Diesen Qualen war Prometheus viele Jahre ausgesetzt.
Der Mythos erzählt außerdem, dass Prometheus im Besitz eines wichtigen Geheimnisses war, das den Untergang von Zeus hätte bedeuten können. Zeus wollte dieses Geheimnis in Erfahrung bringen, doch Prometheus blieb stur und verriet nichts. In manchen Versionen tauchen weitere Figuren auf: Der Chor der Okeaniden bemitleidet Prometheus, ein Gespräch mit Io findet statt, und Hermes versucht, Prometheus zum Reden zu bewegen.
Erst Herakles (Herkules) kam schließlich vorbei und tötete den Adler, wodurch Prometheus nach langer Zeit von seinen Qualen befreit und von Zeus begnadigt wurde.
Prometheus gilt dabei als Sinnbild für Fortschritt, Zivilisation und den Mut, sich gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit zu stellen, oft aber auch als Warnung vor den Folgen der Auflehnung gegen die göttliche Ordnung.
Sokrates und der Schierlingsbecher
Sokrates stirbt den Tod für seine philosophischen Überzeugungen. Der Schierlingsbecher ist Symbol dafür, bis zum Schluss den eigenen Prinzipien (der philosophischen Wahrheit) treu zu bleiben – und sich gerade NICHT bedingungslos einer göttlichen Offenbarung zu unterwerfen. Für Sokrates geht es zentral um Vernunft, Autonomie und Standhaftigkeit gegenüber staatlicher oder religiöser Macht, nicht um die Annahme einer göttlichen „Hypostase“ im christlichen Sinn.
Sokrates nimmt den Tod in Kauf, um seinen philosophischen („gottlosen“) Überzeugungen treu zu bleiben.
Die Götter und Helden der griechischen Mythologie entspringen dem Chaos:
Stammbaum der griechischen Götter und Helden. Quelle: Wikipedia, CC BY-SA 3.0
Dem entsprechend entspringen auch die Religionen aus aller Welt chaotischer Fantasie:
(Eine größere Übersicht gibt es hier)
The Sacred Chao symbol of Discordianism. Quelle: Wikipedia, gemeinfrei
Die Summe aller Ordnungen ergeben Chaos. Minimale Ordnung für maximale Freiheit.
»Aber in dem Ursprung dessen, wo wir eigentlich sind, und von woher wir sowohl die Chiffern beurteilen und prüfen, unsern Willen kontrollieren und den Sinn der Wissenschaft feststellen, ist dieses Etwas, das, was an der Grenze liegt, an der unsere Sprache aufhört, und unsere Grunderfahrung, wie mir scheint, die allerentschiedenste ist, während sie, wenn diese Erfahrung sich gegenständlich aussprechen und begründen will, keinen Gegenstand findet, also dem Sprechen als Forschungsobjekt völlig unzugänglich ist.« – Karl Jaspers Chiffren der Transzendenz, S. 40