Die Silberschnur - der Weg zum verlorenen Schatz
Autor: Gerd Raudenbusch
Stand: 06.08.2025
Inhalt
- Die Silberschnur als Nabelschnur
- Zurück in den Bauch
- Janus und der Kugelmensch
- Sophia
- Eskapismus - ein Teufelskreis
- Diskordia und Eris - Befreiung statt Verlust
- Der verlorene Schatz
Die Silberschnur als Nabelschnur
Die Silberschnur in der Esoterik symbolisiert eine unsichtbare, energetische Verbindung zwischen dem physischen Körper und der Seele oder dem höheren Selbst. Sie wird als ein Band verstanden, das während des Lebens diese beiden Ebenen verbindet und erst im Moment des Todes durchtrennt wird, was die Trennung von Körper und Seele ermöglicht. Im übertragenen Sinn steht die Silberschnur für die Verbindung zwischen dem Materiellen und dem Spirituellen, wodurch eine tiefere Einheit zwischen Mensch und Universum angedeutet wird.
Die Nabelschnur wird biologisch verstanden als die physische Verbindung zwischen Mutter und Kind im Mutterleib, die lebenswichtige Nährstoffe und Sauerstoff liefert und somit Existenz sichert. Symbolisch steht sie auch für Ursprung, Verbindung und Leben selbst, da sie eine direkte Verbindung zu einer Quelle (der Mutter) darstellt.
Im esoterischen und philosophischen Kontext kann man die Parallele ziehen, dass beide Schnüre – die Silberschnur und die Nabelschnur – als verbindende Linien verstanden werden, die das Subjekt mit einem größeren Ganzen verbinden: die Nabelschnur verbindet das Individuum mit der Mutter, der Silberschnur das Individuum mit dem höheren Selbst oder dem Universum.
Der Begriff „Unus Mundus“ stammt aus der Tiefenpsychologie, speziell aus der analytischen Psychologie von Carl Gustav Jung, und bezeichnet eine Einheit, einen gemeinsamen Ursprung oder eine zugrundeliegende Einheit, die die Trennung von Subjekt und Objekt, von Bewusstem und Unbewusstem, transzendiert.
Wenn man den „Muttermund“ analog zum „Unus Mundus“ interpretiert, ließe sich folgender Zusammenhang herstellen: Der Muttermund ist eine Schwelle, die den Zugang zum Leben (Geburt) ermöglicht. Der Unus Mundus ist eine metaphysische Schwelle oder Ursprungseinheit, durch die die Subjekt-Objekt-Spaltung aufgehoben werden kann, was zu einer ganzheitlichen Rückkehr oder Einheit führt.
Esoteriker, die von der Silberschnur sprechen, könnten bewusst oder unbewusst diesen Zugang zum Unus Mundus durchdringen wollen, indem sie mittels der Silberschnur die Trennung zwischen Körper und Seele, zwischen Materiell und Spirituell überwinden. Die Silberschnur als Symbol für diese Verbindung kann somit als eine Art Brücke angesehen werden, die zur Einheit zurückführt.
- Die Silberschnur symbolisiert die spirituelle Verbindung zwischen Körper und Seele.
- Die Nabelschnur symbolisiert die physische Verbindung zum Ursprung (Mutter).
- Der Unus Mundus als Konzept beschreibt die zugrundeliegende Einheit jenseits der Subjekt-Objekt-Spaltung.
- Die Silberschnur als spirituelles Band kann als ein Versuch interpretiert werden, die Trennung und Dualität zu überwinden, analog zur Rückkehr zum Unus Mundus.
- Die Rückkehr durch diese „Schnur“ würde einer Aufhebung der Subjekt-Objekt-Spaltung entsprechen, wie es beim Unus Mundus gedacht ist.
Diese Verbindung ist eher ein analoges und symbolisches Denken der Esoteriker, die damit eine tiefe spirituelle Wirklichkeit hinter der physischen Erscheinung ausdrücken wollen.
Zurück in den Bauch
Womöglich - so stellt es diese Hypothese in den Raum - haben Erfinder und Anhänger der postulierten „Silberschnur“ die Subjekt-Objekt-Spaltung nicht richtig verwunden und versuchen, „den Kopf zurück in die Vagina der Mutter zu stecken“ bzw. an der Überwindung eines Ödipus-Komplexes zu arbeiten. Dabei berühren sie komplexe psychologische und philosophische Themen:
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Subjekt-Objekt-Spaltung bezeichnet die grundsätzliche Trennung zwischen dem erkennenden Subjekt (dem Bewusstsein) und dem erkannten Objekt (der Außenwelt oder Inhalte). Karl Jaspers prägte diesen Begriff, der eine fundamentale Erkenntnisstruktur beschreibt, die auch in der Esoterik und Mystik als zu überwindende Dualität gilt.
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Silberschnur im Esoterik-Kontext symbolisiert eine Verbindung zwischen Seele und Körper, ein Versuch, die Spaltung zwischen Materiellem und Spirituellem zu überwinden, analog zum Konzept des „Unus Mundus“ – einer Einheit, die die Subjekt-Objekt-Dualität transzendiert.
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Wenn die „Silberschnur“ und ihre Deutung nicht abschließend zur wirklichen Überwindung der Spaltung führen (weil sie symbolisch und nicht vollständig metaphysisch aufgelöst wird), ist dies möglicherweise ein eher prä- oder paraphysischer Zustand, d.h., es bleibt eine latente Zerrissenheit, die sich z.B. durch magisch-symbolisches Denken manifestiert, welches - meist emotional - noch nicht in die Erkenntnis der Realität erwachsen ist.
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Der Vergleich mit dem „Kopf zurück in die Vagina der Mutter“ und der Arbeit an der Überwindung eines Ödipus-Komplexes bezieht sich psychodynamisch auf das Streben nach Rückkehr in einen ursprünglichen Zustand der Einheit, der Beendigung der Trennung von Subjekt und Objekt, bzw. der Rückkehr in eine symbiotische Phase der kindlichen Bindung. Das ist ein Versuch, psychisch frühkindliche Abspaltung oder Trennung zu heilen oder symbolisch rückgängig zu machen.
Die esoterische Idee der Silberschnur kann also so interpretiert werden, dass sie eine Art psychospirituellen Versuch darstellt, eine primäre Spaltung (Subjekt-Objekt) nicht wirklich zu überwinden, sondern in Form eines Rückkehrwunsches zur ursprünglichen Einheit (analog der biologischen Verbindung über die Nabelschnur und mutmaßlich auch zur frühkindlichen Einheit mit der Mutter) auszudrücken. Das kann auch als eine unbewusste Beschäftigung mit tiefen psychischen Konflikten wie dem Ödipuskomplex verstanden werden. Die Interpretation bewegt sich zwar an der Grenze von esoterisch-symbolischem Verständnis, Tiefenpsychologie und Philosophie und bleibt spekulativ, aber sie entspricht gängigen psychoanalytischen und philosophischen Sichtweisen zur Subjekt-Objekt-Spaltung und deren „Heilungsversuchen“.
Janus und der Kugelmensch
Janus und die Kugelmenschen sind beides Reflexionen über die Ganzheit, wobei sowohl die Angst vor Selbstspaltung als auch das Ideal der verlorenen Einheit als wesentliche Motive auftreten.
Janus symbolisiert in der römischen Mythologie Dualität, Übergänge und das Ineinander von Gegensätzen (z. B. Vergangenheit/Zukunft, Innen/Außen), wodurch er eine Gottheit darstellt, die innere Widersprüche und Veränderungen verkörpert. Sein Doppelgesicht steht für diesen Zwiespalt, für das gleichzeitige Wahrnehmen zweier Pole als Ganzes.
Die Kugelmenschen aus Platons „Gastmahl“ sind ein mythisches Bild für ursprüngliche Ganzheit, die in zwei Hälften geteilt wurde. Diese Spaltung führte zu einer existenziellen Sehnsucht nach Wiedervereinigung und Ganzheit, wofür die Suche nach der „anderen Hälfte“ steht. Der Mythos spiegelt die menschliche Angst vor dem Verlust dieser Ganzheit und das Ideal, jenseits dieser Trennung wieder eins zu werden.
Wenn man diese Konzepte als hypostasiert (personifiziert) betrachtet, zeigt sich, dass Janus und die Kugelmenschen unterschiedliche Manifestationen oder Symbole derselben psychischen und existenziellen Dynamik sind: der Mensch steht zwischen Einheit und Teilung, zwischen dem Bedürfnis nach Ganzheit und der Angst vor der eigenen inneren Spaltung. Janus könnte dabei als Gottheit gesehen werden, die das Prinzip der polarisierten Ganzheit und des Übergangs zum Ausdruck bringt, während die Kugelmenschen den Mythos der ursprünglichen Einheit und der Suche nach Heilung dieser Spaltung symbolisieren.
Sophia
Die Hypostase eines Gottes als eine der ersten Spaltungen wird besonders im Kontext der gnostischen Mythologie deutlich, die im frühen Christentum und in der Antike entstand. Im gnostischen Sophia-Mythos, etwa in der Schrift „Hypostasis der Archonten“ (Teil der Nag-Hammadi-Schriften, ca. 2.–3. Jahrhundert n. Chr.), wird der Fall der Untergottheit Sophia aus der ursprünglichen göttlichen Einheit beschrieben. Sophia versuchte eigenmächtig, aus sich heraus schöpferisch tätig zu werden, was zu einer Fehlgeburt und letztlich zur Entstehung einer geteilten materiellen Welt führte. Diese Erzählung symbolisiert die erste Spaltung aus einer Einheit, wobei eine ursprüngliche göttliche Hypostase (Sophia) in einen Zustand der Trennung und Dualität fällt.
Darüber hinaus wird in der christlichen Trinitätstheologie (4. Jahrhundert n. Chr.) der Begriff der Hypostase auf die drei göttlichen Personen Vater, Sohn und Heiliger Geist angewandt, wobei trotz Dreifaltigkeit eine Einheit bewahrt wird. Das Konzept der Hypostase steht hier in Spannung zwischen Einheit und Differenz innerhalb Gottes selbst, was als reflexive Auseinandersetzung mit göttlicher Spaltung und Einheit verstanden werden kann.
Im mythologischen Sinne beschreibt die Hypostase also eine Personifizierung göttlicher Eigenschaften oder Prinzipien, die oft mit einer Art „Spaltung“ von einer ursprünglichen Einheit verbunden ist – sichtbar z.B. in gnostischen Entwürfen, wo diese Spaltung als Ursprung der materiellen Welt und des Dualismus gilt.
Die Idee, dass die Hypostase eines Gottes eine erste Spaltung beziehungsweise Differenzierung innerhalb einer ursprünglichen göttlichen Einheit darstellt, wurde also vor allem im gnostischen Denken des 2. und 3. Jahrhunderts n. Chr. deutlich. Dabei wird diese Spaltung als metaphysischer Ursprung von Dualität und Folgeerscheinungen wie Materie und Getrenntsein interpretiert.
Sophia ähnelt in ihrem Mythos dem Kugelmenschen insofern, als beide die Idee einer ursprünglich ganzen, ungeteilten Einheit symbolisieren, die durch eine Spaltung zerbricht. Im gnostischen Sophia-Mythos versucht Sophia, eigenmächtig und ohne ihren männlichen Partner (Paargenossen) schöpferisch aktiv zu werden. Dieses Werk wird als „Fehlgeburt“ beschrieben, da Sophia ohne vollständige Harmonie und ohne pluralistische Balance (das Zusammenwirken menschlich-männlicher und weiblicher Prinzipien) handelt. Diese „Fehlgeburt“ ist ein Himmelsbild, das einen Vorhang zwischen dem Licht und den unteren Äonen (niedrigen geistigen oder materiellen Bereichen) bildet. Daraus entsteht ein Schatten, der zur Finsternis wird und Materie symbolisiert – das ist die Entstehung der unvollkommenen Welt und des mannweiblichen löwengestaltigen Jaldabaoth, der blind und anmaßend ist.
Sophias Fehler ist dabei ihr „Mantel über dem Licht“ (also die Trennung selbst, das Absondern eines Vorhangs oder Schleiers zwischen Licht und Dunkelheit, der bereits den erste Spalt in ihrer Einheit darstellt. Der Vorhang und der Schatten darunter sind kein zufälliger Nebeneffekt, sondern symbolisieren die erste Spaltung innerhalb der ursprünglichen göttlichen Ganzheit. Sophias eigenmächtige schöpferische Handlung ohne den Paargenossen schafft nicht nur eine materielle Fehlgeburt, sondern trennt auch die Einheit des Lichtes, wodurch die Dualität und das Prinzip von „oben“ und „unten“, Licht und Finsternis, entsteht.
Somit kann man Sophia mythologisch als eine Art „Kugelwesen“ verstehen, das, obwohl sie selbst, weiblich ist, in sich die mannweibliche Ganzheit trägt, aber durch den fehlenden pluralistischen Ausgleich (das Fehlen des Paargleichgewichts) eine Spaltung hervorbringt, die sowohl als Fehlgeburt der Schöpfung als auch als fundamentale Spaltung der ursprünglichen Einheit interpretiert wird. Ihr „Mantel“ über dem Licht ist demnach tatsächlich der erste Riss in der Einheit, nicht nur ein begleitender Fehler im Bereich des Lebens.
Eskapismus - ein Teufelskreis
Das Verlangen nach Weltflucht, verstanden als Flucht aus der äußeren Realität in eine innere oder symbolische Scheinwirklichkeit, kann stark durch die psychische Arbeit der Bewältigung der Realität als Unterschied zwischen Innen (subjektives Erleben) und Außen (objektive Welt) hervorgerufen werden. Wenn die Spaltung zwischen Innen und Außen als belastend, unerträglich oder nicht vollständig integrierbar erlebt wird, entsteht ein starkes Bedürfnis, dieser Trennung durch Rückzug, Flucht in Vorstellung, Spiritualität oder esoterische Konzepte zu entkommen. "Eskapismus" (Weltflucht) ist dabei häufig eine Reaktion auf Frustrationen, Zwänge und Begrenzungen im Außen, die innerlich als unbewältigbar empfunden werden. Es dient insbesondere der emotionalen Regulation durch kurzfristige Erleichterung vom Druck der Realität, aber es kann auch Ausdruck eines tiefen psychischen Versuchs sein, eine ganzheitlichere Einheit zwischen Innen und Außen zu erreichen – etwa durch esoterische Vorstellungen wie die „Silberschnur“. Denn die Bewältigung der Realität als dualistisches Spannungsfeld erzeugt so oft das Verlangen, diese Dualität zu transzendieren oder zu umgehen.
Das bedeutet, dass die Stärke des Verlangens nach Weltflucht mit der Intensität der als konfliktträchtig erfahrenen Subjekt-Objekt-Spaltung zusammenhängt: Je größer die innere Zerrissenheit oder Erschwernis in der Verarbeitung der Differenz zwischen Innenwelt und Außenwelt, desto stärker kann das Bedürfnis nach Rückzug oder Flucht werden – sei es bewusst oder unbewusst. Eine gesunde Bearbeitung der Realität beinhaltet, diese Differenz und Spannung auszuhalten und produktiv zu integrieren. Gelingt dies nicht, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Weltflucht verstärkt wird und symbolische Rückkehrsehnsüchte etwa nach einer ursprünglichen Einheit als Fluchtmuster auftreten.
Dabei kann Realitätsflucht selbstverstärkend sein. Der Aufbau und Ausbau einer inneren Scheinwelt kann das tatsächliche Bewältigen der Realität erschweren, wodurch der Druck und die Belastung durch die ungelösten realen Probleme weiter steigen. Dies führt dann oft dazu, dass das Bedürfnis nach Rückzug und Flucht in diese innere, oft symbolische oder fantasievolle Welt noch stärker wird. Dadurch wächst die Scheinwelt weiter – wie eine Art Teufelskreis, in dem die Flucht vor der Realität die Auseinandersetzung mit ihr behindert und gleichzeitig die Fluchtintensität verstärkt. Diese Dynamik ist beim Eskapismus, der psychologischen Realitätsflucht typisch: Solange ungelöste Konflikte oder Belastungen bestehen und man sie nicht konstruktiv verarbeitet, dient die Scheinwelt als vermeintlicher Schutzraum. Doch das Vermeiden der realen Herausforderungen führt meist zu einer verstärkten inneren Belastung, die wiederum weitere Fluchtbewegungen hervorruft. Es kommt dazu, dass die Person sich immer mehr isoliert und den Bezug zur Realität verliert, was die Situation verschärft.
- Das Verlangen nach Weltflucht kann als Reaktion auf das Spannungsfeld zwischen Innen und Außen gesehen werden.
- Eine schwierige oder unvollständige Bewältigung dieser Spannung kann das Bedürfnis nach Rückzug oder Flucht steigern.
- Esoterische Vorstellungen können Teil dieser Flucht sein, weil sie symbolisch eine Überwindung der Spaltung versprechen.
- Die Stärke der Weltflucht hängt mit der psychischen Verarbeitung der Subjekt-Objekt-Trennung als Belastung zusammen.
Diese Einsicht verbindet psychologische, philosophische und esoterische Perspektiven zur Frage, wie Menschen mit der Realitätsspaltung umgehen und welche Rolle Weltflucht darin spielen kann.
- Die innere Scheinwelt kann eine nicht hilfreiche Strategiefalle sein, die die reale Problembewältigung erschwert.
- Steigender innerer Druck und ungelöste Konflikte erhöhen das Verlangen nach Rückzug.
- Das führt zu einer zunehmenden Verstärkung und Ausweitung der Flucht in die Scheinwelt.
- Dies schafft einen sich selbst verstärkenden Kreislauf, der ohne bewusste Intervention schwer zu durchbrechen ist.
Diese Erkenntnis aus der Psychologie erklärt, warum Realitätsflucht bis zu einem gewissen Grad normal und entlastend sein kann, problematisch wird sie aber, wenn sie zum Hauptmechanismus zur Stressbewältigung wird und so die eigentliche Lebensbewältigung blockiert.
Dabei spielt das Alter eine wichtige Rolle bei der Realitätsbewältigung, da sich mit zunehmendem Alter die Art und Weise verändert, wie Menschen ihre innere und äußere Realität verarbeiten und mit Spannungen umgehen:
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Ältere Menschen entwickeln oft eine größere emotionale Intelligenz und fokussieren sich vornehmlich auf emotionale, erfahrungsreiche und konfliktvermeidende soziale Beziehungen. Dies verbessert häufig ihre Fähigkeit, mit schwierigen Realitäten auf konstruktive Weise umzugehen, was die Notwendigkeit von Eskapismus verringern kann.
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Während die sogenannte fluide Intelligenz (Problemlösen, Anpassung an neue Situationen) im Alter eher abnimmt, bleiben kristalline Intelligenz (Faktenwissen) und emotionale Kompetenzen häufig stabil oder verbessern sich. Dies beeinflusst, wie Herausforderungen realitätsbezogen bewältigt werden können.
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Mit dem Alter verändern sich die persönlichen Ziele – ältere Menschen tendieren dazu, unerreichbare Ziele loszulassen und sich auf realistischere, erfüllendere Ziele zu konzentrieren. Dadurch kann die Akzeptanz der Realität besser unterstützt und Fluchtmechanismen reduziert werden.
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Rollen von disbalanciertem Realitätsverständnis: In jüngeren Lebensphasen, wie der Kindheit und Jugend, ist die eigenständige Realitätsbewältigung noch im Aufbau. Ein Mangel daran kann sich lebenslang auswirken. Soziale, emotionale und kognitive Kompetenzen, die in der Kindheit geprägt werden, helfen im Erwachsenenalter, Eskapismus und Fluchtmechanismen zu vermeiden oder besser zu steuern.
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Selbstverstärkende Eskapismus-Tendenzen: Unabhängig vom Alter kann ein starker Eskapismus dann entstehen und sich selbst verstärken, wenn ungelöste Konflikte oder Belastungen die realitätsnahe Bewältigung erschweren. Allerdings kann im höheren Alter aufgrund veränderter emotionaler Regulation und Lebensprioritäten dieser Prozess oft besser bewusst reflektiert und gelenkt werden.
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Jüngere Menschen befinden sich häufig noch im Aufbau von Realitätsbewältigungskompetenzen und sind dadurch möglicherweise anfälliger für unrealistische Fluchtmechanismen.
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Ältere Menschen haben vielfach mehr emotionale Reife und akzeptieren die Realität eher, was oft die Fluchtbedürfnisse mindert.
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Dennoch können Realitätsflucht und Eskapismus in jedem Lebensalter auftreten, besonders wenn psychische Belastungen oder ungelöste Konflikte bestehen.
Diese Zusammenhänge zeigen, dass das Alter sowohl durch entwicklungsbedingte Veränderungen der Psyche als auch durch geänderte Lebensumstände die Realitätsbewältigung und die Tendenz zum Eskapismus beeinflusst.
Diskordia und Eris - Befreiung statt Verlust
Spaltungen haben dennoch heilsame Kräfte. So repräsentieren Diskordia und Eris in der griechischen und römischen Mythologie prinzipiell das Prinzip der Zwietracht, des Streites und des Chaos. Eris ist die griechische Göttin der Zwietracht und des Streits, Tochter der Nyx und oft auch als Schwester des Ares gesehen. Diskordia ist die römische Entsprechung von Eris. Beide stehen für die Hervorrufung von Unordnung und Konflikten, welche einerseits als zerstörerisch, andererseits als notwendiger Teil der Realität und des Wandels angesehen werden können.
Bezüglich der Themen Spaltung und Ganzheit lässt sich sagen: Eris und Diskordia symbolisieren die Kraft, die Teilung, Streit und Konflikte in die Welt bringt, was die Spaltung und Dissoziation als Aspekte des Lebens hervorhebt. Sie ist diejenige, die Zwietracht säht und somit die Einheit stört. Gleichzeitig ist ihr Wirken aber auch initiatorisch und kann in einem weiteren Sinn zur Transformation und Veränderung führen, was auf die Potentiale im Chaos und in der Unordnung hinweist.
In diesem Kontext können Eris und Diskordia als eine Kraft verstanden werden, die Spaltung und Dissoziation provoziert, die wiederum Impulse zur Reflexion und Wiedervereinigung (Ganzheit) setzen kann. So gesehen sind sie quasi Gegenspieler oder notwendige Pole in der Dynamik zwischen Einheit und Teilung. Während Janus als Gott der Übergänge und Dualitäten die Zwiespältigkeit in sich trägt und die Ganzheit trotz der Gegensätze symbolisiert, stehen Eris und Diskordia als Personifikation der Zwietracht für die unruhige, konfliktvolle Seite, die Ganzheit zerreißt oder herausfordert.
Der verlorene Schatz
Die „einzigartige Stelle im Sein“, verstanden als eine individuelle, nicht stehlbare Perspektive oder ein „Geheimnis“, das nur das eigene Subjekt einnehmen kann, lässt sich im Kontext des Urvertrauens nach Erik Erikson als grundlegende, existenzielle Sicherheit interpretieren, die aus der frühen Erfahrung bedingungsloser Geborgenheit und verlässlicher Beziehung entsteht. Dieses Urvertrauen gibt dem Subjekt ein inneres Fundament von Sicherheit und das Gefühl, „im Schoss des Seins geborgen zu sein“, weil es gewahrt und geschützt wird – ein Gefühl, das niemand anders an seiner Stelle erlangen oder ersetzen kann.
Erikson beschreibt das Urvertrauen in einem Stufenmodell als eine elementare psychosoziale Entwicklungsaufgabe, die in der frühen Kindheit entsteht, wenn die Bedürfnisse des Säuglings nach Nähe, Sicherheit und Fürsorge konsequent erfüllt werden. Dieses Urvertrauen ist nicht nur Vertrauen in andere, sondern auch ein tiefes Gefühl der eigenen Vertrauenswürdigkeit und Existenzberechtigung. Es ist ein „alles durchdringendes Gefühl“ von Sicherheit, das das Gegenteil von Urmisstrauen bildet und die Grundlage für spätere psychische Gesundheit und die Fähigkeit, mit der Realität konstruktiv umzugehen.
Für Personen, die eskapistische Züge entwickeln, kann es gerade diese fehlende oder gestörte Erfahrung von Urvertrauen sein, die die innere Sicherheit und Geborgenheit im Sein erschwert. Sie könnten mit dem „Geheimnis“ der eigenen, einzigartigen Perspektive Schwierigkeiten haben, weil ihnen das Gefühl fehlt, dass ihre Existenz und Identität grundlegend sicher und in der Welt geschützt ist. Daraus können Verunsicherung, Angst vor Verlassenwerden, Leeregefühle oder ein fragmentiertes Selbstbild entstehen – innere Zustände, die oft von eskapistischen Rückzugsstrategien begleitet werden, um diesen Mangel an Sicherheit auszugleichen.
Die Auseinandersetzungen, die Betroffene mit dieser „einzigartigen Stelle im Sein“ haben könnten, umfassen:
- Gefühl der Alleinheit und Unzugänglichkeit: Da das innere „Geheimnis“ einzigartig und nicht teilbar ist, können sie sich isoliert fühlen, was Flucht in innere Scheinwelten begünstigt.
- Unsicherheit über die eigene Identität: Ohne Urvertrauen fällt es schwer, die eigene Perspektive als grundlegend legitimiert und sicher anzunehmen.
- Ambivalente Beziehung zur Realität: Einerseits besteht das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Schutz, andererseits eine Flucht vor der Angst vor Zurückweisung oder Verletzung.
- Konflikte bei der realitätsnahen Selbstwahrnehmung: Eskapismus kann als Versuch verstanden werden, die Lücke zu füllen, die durch mangelndes Urvertrauen und das fehlende sichere Gefühl der eigenen Existenzstelle entsteht.
Im Sinne einer therapeutischen oder psychosozialen Perspektive zielt die Arbeit dann darauf ab, dieses Urvertrauen im Hier und Jetzt zu stabilisieren und zu stärken, damit das Subjekt seine einzigartige Stellung im Sein als sicher und geborgen erleben kann, wodurch eskapistische Fluchtmuster abnehmen.
Aspekte der „einzigartigen Stelle im Sein“ als Urvertrauen | Bedeutung für Personen mit Eskapismus |
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Einzigartige, nicht ersetzbare individuelle Perspektive | Innere Isolation und Unsicherheit |
Grundlegende Sicherheit und Geborgenheit im Sein | Gefährdung dieser Sicherheit als Ursache von Fluchtverhalten |
Entsteht aus verlässlicher Bindung und Fürsorge | Fehlendes Urvertrauen fördert Eskapismus |
Grundlage für Identitätsgefühl und selbstwertschätzende Existenz | Schwierigkeit, Realität anzunehmen, führt zu Rückzug |
Die gemachte Betrachtung verbindet die grundlegende Entwicklungspsychologie mit der Dynamik von Eskapismus und psychischer Realitätsbewältigung und lichtet, an Spinoza und am Pandeismus vorbeigereist, jene Amputationen, die durch alle Formen von metaphysischen Theorien über Subjekt und Objekt entstanden sind, welche, jede einzeln für sich, einen Schützengraben zog, dessen Existenz nicht notwendig ist.