"NEIN" - Versuch einer Daseinserklärung
Lust und Schmerz sind uns angeboren. Dadurch wissen wir, was uns weh tut und was und Freude bereitet. Das Nein kommt nach dem Ja, und beide sind unbedingt notwendig, um sich selbst zu erkennen und handlungsfähig zu bleiben.
Inhalt
Wille
Ich habe einen freien Willen, der mir die absolute Entscheidungsgewalt über meine Existenz gibt, inklusive meiner Wahl zum Sterben, sowie der Entscheidungsgewalt über meinen Körper, all seine Wahrnehmungen, Bewegungen, Regungen und seine Bedürfnisse und Vorgänge betreffend, für die ich verantwortlich bin, inclusive seiner Sexualität und der Geburt oder Zeugung von Kindern. Mein Wille über mich als mein Körper ist von allem Äußeren bedingungslos frei, weil er unverhinderbar bei meinem Sein beginnt, selbst dann, wenn mir manche solcher Vorgänge von außen verboten werden würden.
Mein eigenes "Ja" zu dieser meiner Freiheit ist - im übertragenen Sinne auf meine Mitmenschen - gleichermaßen ein "Nein" dazu, ihnen diese Freiheit über sich zu beeinträchtigen oder wegzunehmen. Daraus ergibt sich, dass in sozialen Interaktionen, in denen Menschen eng miteinander interagieren müssen, ich mit ihnen manche dieser Freiheiten für eine kurze Zeit freiwillig einschränke, in einer für alle gerechten und fairen Weise, um sich nicht gegenseitig zu behindern.
Jedes "Nein" von mir ist meine willentliche Entscheidung gegen all die Dinge, die mir weh tun, die mich stören, die mich verleugnen oder die mich schänden oder schädigen, mit dem ich mich an das "Ja" zu mir selbst und meiner Existenz erinnere und dieses "Ja" wieder-hole. Und das erste "Ja" zu mir haben wiederum meine Eltern durch ihren Zeugungsakt getroffen, und es wäre selbst dann ein "Ja", wenn dieser kein glücklicher Umstand, nicht in Liebe oder nicht freiwillig gewesen wäre. Auch wenn jemand meine Eltern beleidigt, beeinträchtigt oder verneint, ändert dies nichts an den Entscheidungen, die mir mein Leben ermöglicht haben.
ICH BIN DA.
Selbsterkenntnis
Der erste Unterschied, den ich erfuhr, war jener zwischen mir selbst und der Welt im Moment meiner Geburt, als ich die Welt erblickte. Meine Sinnesorgane lassen mich diese Welt unaufhörlich wahrnehmen, und im Alter von 2-3 Jahren konnte ich mich selbst erkennen. Diese Selbsterkenntnis brachte mich beispielsweise zu der Fähigkeit, Farbpunkte oder Beeinträchtigungen auf meinem Körperbild, die ich vor dem Spiegel sehe, von MIR wegzunehmen und nicht etwa von dem Spiegel. ICH habe also den Unterschied zwischen mir und meinem Abbild erkannt, indem ich "Nein, das bin ich NICHT" zu dem Spiegel als mich selbst gesagt habe, sonst würde ich - so wie viele Tiere - nur versuchen, die Befleckung, die ich sehe, vom Spiegel und nicht von mir selbst zu nehmen. Das "Nein" zu dem Spiegelbild ist das "Ja" zu mir und ein jedes solches "Nein" erfordert meine Selbsterkenntnis dazu. Wer nichts als "Ja" sagen würde, hätte kein selbstverständliches Bewusstsein.
Wer "ich" bin, dies ist vor meinem Selbst, das meine körperliche Existenz mir spendiert, die Summe all meiner eigenen Entscheidungen. Alle anderen Spiegel der Welt zu mir verraten sich stets auch wie Eselsohren selbst. Ich kann mit jedem perspektivischen "Nein" vor einem eigenen Spiegelbild zwar eigene Selbstverleugnungen zurück zum "Ja" zu mir selbst verdrehen, wenn ich sie habe, und so inkonsistente Verstellungen in meinem Dasein schließen, jedoch kann ich nie mein ganzes Sein selbst spiegeln, da das Sein sich Jeglichem entzieht und das reine "Nichts", kein Spiegel dazu sein kann, weil nicht sein kann, was nicht ist.
Wenn ich mich ganz ohne Spiegel verneinen wollte, um mich zu erkennen, könnte ich während dieses Vorgangs nicht derselbe bleiben, der ich bin. Mein Sein ist vor sich selbst komplett unsichtbar, weil ich bin, dass ich bin, wie ich bin und was ich bin, und so nur jenes für mich wahrnehmbar ist, was sich davon unterscheidet, und von dem ich mich unterschieden habe. Dass die Welt dabei das "ausgeschlossene Dritte aller Entscheidungen bleibt", ermöglicht mir im Leben, jede dieser Entscheidungen zu ändern.
Zwecke
Niemand hat das Recht, mir und meinem Leben einen erfundenen "höheren" Zweck aufzuerlegen oder abzuverlangen, mit dem ich nicht einverstanden bin. Dies betrifft all meine Freiheiten über mich und meine Körperlichkeit, inclusive dem Zeugen oder Gebären von Kindern und dem Eingehen sozialer Verbindungen. Für meine Entscheidungen über meine Freiheiten und deren Konsequenzen trage ich zwar selbstverständlich die Verantwortung, doch hat niemand das Recht, mir irgend eine andere Form von Schuld oder die Vernachlässigung eines Zwecks für diese Freiheiten selbst zuzusprechen, zu denen ich selbstbestimmt "Nein" gesagt habe. So ist beispielsweise der Natalismus, welcher das Zeugen und Gebären von Kindern als Zweck vom Dasein als Bedingung FORDERT, eine solche Unterstellung von Schuld.
Auf Gedeih und Verderb sind alle Entscheidungen über meinen Körper und mein Dasein, die dies berücksichtigen, inclusive ihrer Konsequenzen, meine eigenen Lebenserfahrungen, die ich alle als wertvoll erachte und die Treue zu mir lässt keinen Platz für Reue sondern bringt nur das Beste vom Alten ins Neue.
Selbstverleugnung
In vielen Religionen, insbesondere im Christentum, ist Selbstverleugnung ein zentrales Prinzip: Gläubige sollen eigene Wünsche und Interessen zugunsten eines "höheren" Ziels (einem Gott, der Nächstenliebe, dem spirituellen Wachstum) zurückstellen. So heißt es im Christentum:
- „Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach." (Matthäus 16,24)
- „Nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir.“ (Galater 2,20)
- „Ihr seid nicht euer selbst." (1. Korinther 6,19)
Die Überheblichkeit des Glaubens beginnt meist mit dem Widerspruch gegen die eigenen Vitalinteressen, gegen das "selbstüberhöhte" und von irdischen Gütern abhängige Selbst, so dass eigene Wünsche abzuwägen wären vor einem "höheren Wert" – dem Reich "Gottes".
Damit werden den zwei großen Unbekannten "Geburt" und "Tod" eines Menschen ungerechtfertigt Dinge angedichtet, die nichts als der reinen Spekulation entsprechen. Aus dieser Selbstverleugnung könnten im weiteren Verlauf psychische, selbsterhaltende Krankheiten, wie z. B. Depressionen, Angststörungen, Burnout, Essstörungen, Borderline- oder andere Persönlichkeitsstörungen folgen.
Glauben
So muss die Entscheidung irgend eines Anderen, eine eingebildete, selbstüberhöhte, Macht über mich oder meine Eltern zu verhängen...Götter, Teufel, Aliens, Naturgeister oder sonstige (Un)Wesen...von denen ich angeblich abstammen oder abhängig sein soll, NICHT auch meine eigene Entscheidung sein, denn ich bedenke: Diese eingebildeten (Un)wesen sind nicht empirisch beweisbar, wie Russel's Teekanne sehr schön zeigt.
Wenn ich solch ein imaginäres (Un)Wesen erfinde, dass mich oder andere in irgend einer Weise manipuliert oder beeinflusst, dann ist dies ein "Nein", eine Verleugung, eine Projektion zu mir selbst. Denn fortan stopfe ich Vorstellungen, Vorgänge und Ideen in diese imaginären (Un)Wesen, die nicht der wahrnehmbaren Realität entsprechen. Doch was diese (Un)Wesen wirklich bedeuten, tun und welchen Zweck sie haben, das kann am Ende immer nur ich selbst gewusst haben, weil ich und nur ich selbst meine Vorstellungen dort hinein geführt habe.
Jede darauf basierende Religion sorgt nur dafür, dass sich diese Selbst-Verleugung oder geistige Amputation weiter manifestiert. Pascal's Wette, auf "Verdacht" an einen Gott zu glauben , nur für den Fall, dass man zum Zeitpunkt des Todes davon betroffen wäre, ist eine Religion , die nur ein einziges "Nein", aber vielzählige "Ja's" während des Lebens zu dieser Frage hat - also ist Glauben "auf Verdacht" AUCH NUR ein Glauben. Auf Spekulationen vor oder nach dem Leben zu wetten, ist töricht.
Wer mich zu einem Glauben oder Handeln gegen meinen freien Willen missioniert oder gezwungen hat, oder dies tun will, ist gegenüber dem ersten fundierten "Ja" meiner Eltern zu meinem Leben respektlos und verleugnet meine Existenz und mein Leben. Als Dasein über dem Planck'schen Wirkungsquantum vermute ich, wenn ich demjenigen gegenüber - anstatt nur persönlicher Rache - auf meine Existenz selbst und seine Entschuldigung beim Leben bestehe, wird derjenige, um seine Schuld für diese übergriffige Respektlosigkeit aufzulösen oder zu begleichen, beim Leben selbst, welches er dazu verwenden musste, um mir das anzutun, sich entschuldigen oder auf eine Weise bezahlen müssen, die NICHT mehr dem demselben Weg oder der Weise entspricht, mit dem ihm diese Respektlosigkeit, dieses Verbrechen, mich metaphysisch zu verleugnen, möglich war. Derjenige muss sich dann die Lüge eingestehen, um weiter existieren und leben zu können. Dieser Vorgang entspricht aus meiner Perspektive dem Verzeihen. Jegliche Hypostase von wirkenden spirituellen oder mystischen Kräften über andere, die ein Glaube oder eine Religion anderen über (ihr) Haupt verleihen könnten, wären auch im Möglichkeitsraum aller Ursachen und Wirkungen eine von fremden Leben stets gestohlene Kraft, die jeder, der sie benutzt, selbst durch einen Dienst am Leben zurückzahlen muss, weil alles Leben selbsterhaltend ist. Zu dieser Erkenntnis bringt mich die Innerlichkeit meines eigenen Daseins, die vollkommen unaussprechlich ist und mit nichts begreifbar oder festzuhalten ist, solange ich lebe. Wenn jemand anders oder ich selbst es dennoch versuchen würde, begäbe sich dies wieder in einem Religion und in eine Schuld, sobald damit über andere entschieden und sie zur Untergebenheit aufgefordert oder gar gezwungen wären.